Evangelischer Buchpreis 2023

Jahr:
2022

Genre:
Roman

Autor:
Abbas Khider

Titel:
Der Erinnerungsfälscher

Verleihung:
24. Mai 2023, Hospitalhof, Stuttgart

Begrüßung:
Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl

Laudatio:
Carsten Hueck, Deutschlandfunk

Musik:
Hanke Brothers

 

Begründung der Jury

„Es gibt Orte im Gedächtnis, die sind wie Minenfelder, sie können einen in Stücke reißen. Ein Leben kann schön und erträglich sein, wenn man diese Orte meidet“. Said Al-Wahid möchte als Schriftsteller arbeiten, doch er scheitert bei jedem Versuch, einen längeren Text zu verfassen. Er braucht seine Erinnerungen fürs Schreiben, doch die sind ihm abhandengekommen, weil das Erlebte so schmerzhaft war. Vom Arzt wird ihm ein Behandlungszentrum für Folteropfer empfohlen, um seine traumatische Vergangenheit aufzuarbeiten, doch Said findet seinen eigenen Weg, als er dem Begriff des Erinnerungsfälschens begegnet: Er beginnt, die Lücken zu füllen, indem er sich neue Erinnerungen erfindet.

Der Roman „Der Erinnerungsfälscher“ beschreibt eine Reise auf zwei Ebenen. Die reale Reise führt Said Al-Wahid nach Bagdad ans Sterbebett seiner Mutter, zeitgleich unternimmt er einen gedanklichen Ausflug zurück in die Vergangenheit ins Land seiner Kindheit und denkt über Heimat, Migration, Identität und seine Erfahrungen als Geflüchteter nach. Er erinnert die Repressalien als Asylbewerber in Deutschland, betrachtet die Stationen seiner Flucht und reflektiert das jetzige Leben mit Frau und Kind in Berlin.  Dabei erfindet er sich und sein Leben teilweise neu, so dass die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verwischen.

Mit klaren, schnörkellosen Sätzen, aber nicht ohne Humor, erzählt Abbas Khider von den Themen, die das Leben seines Protagonisten beherrschen: Die Gefangenschaft in der Diktatur, die lange, entbehrungsreiche Flucht nach Europa und die Vorurteile und Schikanen, denen er in der neuen Heimat immer wieder begegnet. Dies gelingt ihm in beeindruckender Weise. Der Autor, dessen Biographie deutliche Parallelen zu Saids aufweist, lässt uns teilhaben am Prozess des Schreibens und seiner therapeutischen Wirkung, er bedenkt die Wichtigkeit von Literatur für das eigene Leben, er plädiert gegen religiösen Fanatismus, Nationalismus, Rassismus und Ideologien jeder Art und fordert uns zu mehr menschlichem Miteinander auf. 

Über den Autor

© Peter-Andreas Hassiepen

Abbas Khider wurde 1973 in Bagdad geboren. Mit 19 Jahren wurde er wegen seiner politischen Aktivitäten verhaftet. Nach der Entlassung floh er 1996 aus dem Irak und hielt sich in verschiedenen Ländern auf. Seit 2000 lebt er in Deutschland und studierte Literatur und Philosophie in München und Potsdam. 2008 erschien sein Debütroman „Der falsche Inder“, es folgten die Romane „Die Orangen des Präsidenten“ (2011) und „Brief in die Auberginenrepublik“ (2013). Abbas Khider lebt zurzeit in Berlin.

Die Preisverleihung

Der Evangelische Buchpreis wird seit 1979 vom Dachverband evangelischer öffentlicher Büchereien, dem Ev. Literaturportal, verliehen. Gesucht werden Bücher, die anregen über uns selbst, unser Miteinander und unser Leben mit Gott neu nachzudenken.

Die Jury wählte neben dem Preisbuch neun weitere Titel für die Empfehlungsliste aus: Romane, Sachbücher, Kinder- und Jugendbücher.

Der Jury gehören Mitarbeitende evangelischer Bibliotheken, Bibliothekar:innen und Theolog:innen und die Redakteurin des Ev. Literaturportals an.

Der Preis wird Abbas Khider am 24. Mai im Hospitalhof in Stuttgart verliehen.